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Aktuelles aus der Arbeitsmedizin


Beitrag von Priv.-Doz. Dr. Dr. med. Eileen M. Wanke Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin Goethe-Universität Frankfurt am Main


F. M. Alexander-Technik: Methode mit großem betriebsmedizinischem Potenzial

Mit der Alexander-Methode können gezielt und bewusst über eine Veränderung von Bewegungs- und Haltungsgewohnheiten psychomentale sowie physische Belastungen reduziert und/oder bereits vorhandene Beschwerden nachhaltig gelindert werden. Es handelt sich um eine ganzheitliche Körperarbeit, die leicht in die verschiedenen Bereiche des betrieblichen Gesundheitsmanagements integriert werden kann.


Wie alles begann

Eigene, die Berufsfähigkeit existenziell bedrohende Probleme mit der Stimme führten Frederick Matthias Alexander vor ca. 130 Jahren zur Entwicklung der nach ihm benannten Methode. Der Zusammenhang des Auftretens der Heiserkeit bis zum Stimmverlust während der beruflichen Tätigkeit als Schauspieler und Rezitator von Schakespear- Monologen brachten Alexander auf die Idee, die Ursache für seine Stimmprobleme in seinen eigenen muskuloskelettalen Haltungs- und Bewegungsmustern zu suchen. In ersten experimentellen Analysen ab 1888 stellte er unter anderem einen Zusammenhang aus einer diskreten Reklination des Kopfes – auch vergleichbar mit einem zu hoch stehenden Bildschirm an heutigen Büroarbeitsplätzen – und seinen Stimmproblemen fest und führte dies aus Muskelspannungsstörungen im Kehlkopfbereich zurück. Schon beim bloßen Gedanken an die auslösende Bewegung wurde seine Heiserkeit ausgelöst, was für Alexander die untrennbare Verbindung aus Körper und Geist nochmals verdeutliche. Aus diesen ersten Ergebnissen entwickelte Alexander die auch heute noch gültigen zugrunde liegende Prinzipien seiner erfolgreichen in vielen Bereichen angewandten Alexander-Methode.


Die Idee ist simpel: Problem erkennen – Strategie entwickeln – aktiv gesteuerte Korrektur

Die Basis stellt zunächst die Analyse von leistungslimitierenden und/oder von Beschwerden bzw. Schmerzen auslösenden Muskelspannungsmustern dar. Häufig sind dies unbewusste und/oder, mitunter schon lange bestehende, ungünstige Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten.  Sind diese erst einmal identifiziert und können darüber hinaus vom Betroffenen wahrgenommen und verstanden werden, beginnt der eigentliche – zunächst angeleitete – Lernprozess. Darin geht es dann wiederum zunächst um eine Auflösung bzw. Minderung der ungünstigen Muskelspannungsmuster. Mittel- und langfristig ist aber das Ziel, Fähigkeiten zu erlernen, die am treffendsten mit dem Begriff der aktiven Um-Programmierung umschrieben werden kann. Denn um auch nachhaltig mit Situationen erhöhter bzw. ungünstiger Muskelspannung besser umgehen zu  können, müssen dann wirksame, individuelle, aktive Bewegungs- und Haltungskorrekturen erarbeitet und eingeübt werden. Im Idealfall können am Ende dann ungünstige Verhaltensmuster durch energetisch und biomechanisch Günstigere ersetzt werden, wobei jede Art und Korrektur nach einem individuellen Entscheidungsprozess gezielt abläuft.


Der Unterricht

Was theoretisch zunächst wenig greifbar wirkt, wird im Unterricht umso klarer. Die dynamische Beziehung zwischen Kopf und Rumpf, von Alexander als so genannte Primärsteuerung benannt, und das Wissen um Störungen stehen im Fokus der Einzel- und Gruppenstunden in verschiedenen Körperhaltungen. Die Anleitung erfolgt verbal und werden durch taktile Reize – auch in Form vorsichtiger manueller, individueller Korrekturen des professionellen Alexander Lehrers – unterstützt. Die Dauer der Unterrichtseinheit liegt in der Regel zwischen 30-45 Minuten. Workshop-Formen existieren jedoch auch. Zeitlich ist daher diese Methode auch für betriebliche Interventionen gut geeignet. Laut Studienlage sind bereits nach wenigen Unterrichtseinheiten (ca. sechs) sichtbare und spürbare Erfolge nachweisbar. Der Einsatz der Methode kann isoliert oder in Kombination mit anderen Methoden oder Konzepten, zum Beispiel ergänzend zur Physiotherapie in der Rehabilitation nach Verletzungen, erfolgen.


Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit

Schon Alexander selber bemühte sich zu Lebzeiten im Zuge der zunehmenden Verbreitung seiner Methode um haltbare wissenschaftliche Nachweise für die Wirksamkeit. Erste Studien, die sich mit den Auswirkungen befassen, reichen bis in die 1930er Jahre zurück. Als Technik, die im Grunde aus einem arbeitsmedizinischen Problem heraus entwickelt wurde, reicht den Bogen von Fragestellungen in Studien inzwischen aus den primär nichtklinischen Fächern (z. B. Arbeitsmedizin, Anatomie und Neurophysiologie) bis in zahlreiche klinische Fächer, wie die Orthopädie oder Neurologie hinein. Eine Vielzahl von Studien ist dabei von arbeitsmedizinischer Relevanz. Auch wenn es mittlerweile zahlreiche Publikationen zur Prävention von psychomentalen Stresssymptomen durch die Alexander-Technik gibt, bilden die aktuellen wissenschaftlichen Studien immer noch Fragestellungen zu Wirkung auf das Bewegungssystem in Primär-, Sekundär- als auch Tertiärprävention den Schwerpunkt. Interessant ist auch der Vergleich zu anderen präventiven oder therapeutischen Ansätzen.


Hohe Relevanz für die betriebsmedizinische Tätigkeit – Hilfe zur Selbsthilfe

Es gibt Berufsgruppen, in denen die Alexander-Technik fast wie das tägliche Frühstück oder das Abrufen von E-Mails dazu gehört. Dies sind vor allem die Bereiche der darstellenden Kunst oder Hochleistungssport. Allerdings weisen die Ergebnisse von Studien in Kombination mit Erfahrungswerten auf zahlreiche, über die darstellenden Kunst hinausgehende Anwendungsgebiete hin, was vor allem auch für die Bereiche des betrieblichen Gesundheitsmanagements gilt.

Bei überschaubarem zeitlichem Rahmen, ohne besondere technische Ausstattung oder Kleidung und der Möglichkeit der Gruppen- und Einzelarbeit ist eine Implementierung gut denkbar. Vor dem Hintergrund der hohen ökonomischen relevanten Kosten, die durch berufsbezogene Muskel-Skelett-Erkrankungen entstehen, kann so verhältnismäßig kostensparend präventiv eingegriffen werden. Das einzige, was allerdings unverzichtbar ist, ist eine fachlich kompetente Anleitung mit entsprechender Qualifikation. Diesbezüglich können inzwischen Lehrkräfte nicht zuletzt aufgrund der guten Organisationsstruktur des nationalen Verbandes sowie der üblichen Medien in nahezu jeder größeren Stadt gefunden werden.


Sicherlich stellt diese ganzheitliche Methode nach F. M. Alexander kein Allheilmittel für arbeitsbezogene gesundheitliche Probleme dar. Dennoch beweist die sich sicherlich in Zukunft noch verbessernde Studienlage, dass es sich um eine weitere, vielfältig einsetzbare „Option“ mit Erfolgspotenzial handelt. Es ist daher zu erwarten, dass diese Methode in Zukunft entweder isoliert oder in Kombination mit anderen bewegungsorientierten Methoden innerhalb der arbeits- bzw. betriebsmedizinischen Betreuung in Lehre und Anwendung in steigendem Maße anzutreffen sein wird.

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